Wieso rote Karten und Verletzungen wichtig für die Karriere sind
- Nicolas Fandrey & Jens Nowotny
- 16. März 2021
- 4 Min. Lesezeit
Jens Nowotny, ein Spieler, den jeder kennt und doch auch nicht. Ein Name, den jeder mit Bayer Leverkusen in Verbindung bringt, nicht nur mit der Ära Daum, sondern auch, weil er wegen der meisten roten Karten in der Bundesliga und dem Ausschluss vom Spielbetrieb bekannt wurde.
Was aber sagt das über den Menschen Jens Nowotny aus?
Champions League, Meisterschaft und DFB Pokal 2002
Als ich Jens Nowotny kennenlernen durfte und vorab eine kleine Recherche machte, fiel mir als Erstes die Saison 2002 ins Auge.
Bayer Leverkusen, der Verein, bei dem er sich unter Christoph Daum zum Abwehrchef entwickelte, stand in diesem Jahr in allen drei Wettbewerben im Finale.
Jedoch ohne Jens Nowotny, weil sich dieser am 30. April 2002 im Champions League Halbfinale verletzte.
Seitdem stellt sich mir eine Frage: Hätte Bayer Leverkusen einen oder gar alle drei Wettbewerbe gewinnen können, wenn der Abwehrstratege fit gewesen wäre?
Doch viel wichtiger ist doch eigentlich die Frage, wie geht man als Mensch damit um, zum einen mit der Verletzung, zum anderen mit der Tatsache, dass man bei den entscheidenden Spielen nicht auf dem Platz stand.

Das Interview
NF: Herr Nowotny, wie beurteilen Sie rückblickend die roten Karten und die entscheidende Verletzung im Jahre 2002 in Bezug auf Ihre Karriere?
Was mich rückblickend am meisten aufregt, ist, dass ich mir mit dem Satz: „Wer weiß, wofür es gut war,“ versucht hatte, die Situation zu beschönigen. Letztlich war es einfach nur Mist. Zumindest die Verletzung 2002.
Die roten Karten haben gezeigt, dass du auf so hohem Niveau nur mithalten kannst, wenn du zu 100 % fit bist. Also kümmere dich als erstes um deine Gesundheit, sonst zahlst du eher früher als später den Preis dafür.
NF: Mit konkretem Blick auf die drei Finalspiele, welche Gedanken kommen heute noch in den Sinn?
Ärger über die verpassten Chancen. Enttäuschung, dass wir viele Menschen traurig machten. Und ein bisschen Wut über die Häme, die über uns ausgeschüttet wurde.
NF: Welche Rolle haben die Spieler, die während der 90 Minuten nicht auf dem Platz stehen? Was bedeutet Team in diesem Zusammenhang?
Nur zusammen ist der Sieg möglich. Das wissen insgeheim alle. Das Schwierige ist, es auch allen zu verdeutlichen. Auch wenn vieles ungerecht erscheint. Denn jeder möchte aktiv dazu beitragen und nicht nur als Backup fungieren. Die Charaktere entscheiden, wie gut ein Team im Sieg, wie in der Niederlage funktioniert. Kann ich damit umgehen, dass andere im Scheinwerferlicht stehen? Und kann ich in der Niederlage Verantwortung übernehmen?
NF: Eine Mannschaft ist also mehr als die 11 Spieler auf dem Platz. Kann man hierbei die Betreuer, Physiotherapeuten etc. als ein die Mannschaft umgebendes Netzwerk beschreiben?
Das sogenannte Staff hat einen enormen Einfluss und Stellenwert. Es sind Augen und Ohren für ein gutes Miteinander. Sie sollten dem Spieler das Gefühl vermitteln, mehr zu sein als die Nummer auf dem Trikot. Da hatte ich in meiner Zeit riesiges Glück. Aber das ist keine Einbahnstraße. Jürgen Klinsmann hat es uns vor der WM 2006 so verdeutlicht: Die Basis (Fans) feuert dich an, die Orga kümmert sich um die Dispo, die Polizei ist für die Sicherheit zuständig, der Busfahrer für den Transport, das Ärzte-/Physioteam für die Gesundheit, das Hotelpersonal für das Wohlergehen, das Trainerteam für die Taktik, der Zeugwart für die „Arbeitskleidung“, der Schiedsrichter für die Einhaltung der Regeln. Wir brauchen nur Fußball zu spielen.
Was er eigentlich damit sagen wollte: Zeig allen den nötigen Respekt. Denn alle sind wichtig und wollen, dass wir gewinnen.
NF: Weshalb würden Sie sagen, ist das Netzwerk so entscheidend?
Netzwerk beruht auf eigenen Erfahrungen. Und wenn ich gute Erfahrungen gemacht habe, kann ich auch guten Gewissens Empfehlungen aussprechen.
NF: Nun mal vom Platz in das Leben nach der aktiven Karriere als Fußballer. Sie sind ja nun auch Teil des Clubs der Nationalspieler und Botschafter der Sepp-Herberger Stiftung. Welche Rolle spielt hierbei das Thema Netzwerk?
Auch hier ein ganz wichtiges. Es macht unglaublichen Spaß mit den „Ehemaligen“ wieder in Kontakt zu treten und auch zu bleiben. Immer wieder stellt man fest, dass Leute in verantwortungsvollen Positionen ein Team um sich scharen, mit gemeinsamer Vergangenheit. Oder auf Empfehlung. Vitamin B. Netzwerk beruht auf Vertrauen. Ein Pluspunkt, wenn nicht sogar DER Pluspunkt. Das zählt auch bei uns.
NF: Ist das Netzwerk etwas, was Sie während der aktiven Karriere gepflegt haben oder welches sich erst im Nachgang als solches erwiesen hat?
Leider erst so richtig im Nachgang. Als Spieler bist du zu sehr auf das fokussiert, was auf dem Platz passiert. Ein bisschen mehr Weitblick hätte damals gutgetan und würde heute guttun.
NF: Was kann Ihrer Ansicht nach eine Führungskraft vom Fußball lernen?
Ich glaube ehrlicherweise immer mehr, dass die Führungskraft das nur in einem persönlichen Gespräch herausfinden kann. Es gibt mehr Unterschiede in den Voraussetzungen und Umständen als Gemeinsamkeiten. Erfolg und Misserfolg liegen oftmals nur 3 oder 4 Tage auseinander. Alles wird in der Öffentlichkeit diskutiert und bewertet. Die Abhängigkeiten voneinander sind offensichtlicher. Ich könnte noch ein Weilchen weitermachen, aber im persönlichen Gespräch wäre mir das lieber.
NF: Und was glauben Sie, kann der Fußball im Gegenzug von der Wirtschaft mitnehmen (wohlwissend, dass Fußball nicht mehr auf den Sport reduziert werden kann)?
Das Umdenken hat schon vor Jahren stattgefunden, dass Fußball ein Wirtschaftszweig ist und ein Verein ein Unternehmen. Es entstehen auf Führungsebenen immer mehr homogene Teams, die sich ergänzen. Die einen besser, Bayern München ist das Paradebeispiel, bei anderen ist der Prozess im Gange. Und andere scheinen sich damit schwer zu tun, wenn es um Machtverteilung und Kompetenzgerangel geht.




Kommentare